Warum gute Teams unterschiedliche Regelmeetings brauchen
- Susanne Wesner

- vor 12 Minuten
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Noch nie habe ich in einem Kundenprojekt gehört: Wir haben zu wenige Meetings. Oft genug ist die Kalendersituation sogar so angespannt, dass kurzfristige Abstimmungen nur in der Mittagspause, in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden möglich sind. Es wird viel miteinander gesprochen. In wöchentlichen Teammeetings, Projektupdates, Abstimmungsrunden und Jour fixes. Trotzdem bleibt allzuoft das Gefühl, dass der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht. Entscheidungen werden vertagt oder informell getroffen, Themen tauchen immer wieder auf, Verantwortlichkeiten bleiben unklar. Gleichzeitig wächst der Wunsch, Meetings zu reduzieren – obwohl kaum jemand sagen kann, welche Meetings man eigentlich streichen müsste, ohne wichtige Abstimmung zu verlieren.
Dieses Spannungsfeld ist kein Zeichen schlechter Führung oder mangelnder Disziplin. Im Gegenteil: Es tritt besonders häufig in engagierten, leistungsfähigen Teams auf. Das Problem liegt tiefer. Es hat weniger mit der Anzahl der Meetings zu tun als mit der Art und Weise, wie Meetings verstanden und genutzt werden.
Viele Meetings scheitern nicht, weil sie schlecht moderiert sind, sondern weil sie zu viel auf einmal leisten sollen.
Meetings sind Koordinationsmechanismen – keine Kommunikationsformate
Ein hilfreicher Blick auf dieses Problem kommt aus der Organisationstheorie. Der Organisationsforscher Henry Mintzberg beschreibt Organisationen unter anderem über ihre Koordinationsmechanismen. Neben formalen Prozessen oder direkter Anweisung ist ein zentraler Mechanismus die direkte Abstimmung zwischen Menschen – Mintzberg spricht von mutual adjustment.
Regelmeetings sind genau dieser Mechanismus. Sie sind nicht „Zusatz zur eigentlichen Arbeit“, sondern der Ort, an dem Arbeit unter Unsicherheit koordiniert wird. Je komplexer und dynamischer die Arbeit, desto weniger lässt sie sich vollständig planen oder standardisieren – und desto wichtiger werden funktionierende Abstimmungsräume.
Das Problem entsteht dort, wo Meetings pauschal als Kommunikationsformate behandelt werden: Man trifft sich, tauscht Informationen aus, diskutiert Themen und hofft, dass sich daraus Orientierung, Entscheidungen und Fortschritt ergeben. In der Praxis passiert dann genau das Gegenteil. Das Meeting wird überladen, die Aufmerksamkeit zerfasert, und am Ende bleibt unklar, was eigentlich erreicht wurde.
Die entscheidende Frage ist deshalb nicht, wie viele Meetings ein Team hat, sondern welche Art von Koordination in einem Meeting jeweils geleistet werden soll.
Unterschiedliche Koordinationsleistungen folgen unterschiedlichen Logiken
Arbeit im Team erfordert mehrere, klar unterscheidbare Koordinationsleistungen. Diese Leistungen folgen unterschiedlichen Logiken und lassen sich nicht beliebig miteinander vermischen, ohne an Wirksamkeit zu verlieren.
Teams müssen sich zunächst orientieren: Was ist gerade wichtig? Welche Prioritäten gelten? Welche Rahmenbedingungen haben sich verändert? Ohne gemeinsame Orientierung arbeiten selbst kompetente Menschen aneinander vorbei.
Sie müssen sich außerdem koordinieren: Arbeit ist selten unabhängig. Aufgaben greifen ineinander, Übergaben sind nötig, Engpässe entstehen. Der Organisationsforscher James D. Thompson beschreibt diese wechselseitige Abhängigkeit als besonders anspruchsvoll, weil sie kontinuierliche Abstimmung erfordert.
Darüber hinaus müssen Teams Entscheidungen treffen. Und zwar unter Unsicherheit, mit begrenzter Zeit und unvollständiger Information. Forschung zu realen Entscheidungsprozessen, etwa von Gary Klein, zeigt, dass Entscheidungen nicht automatisch aus Diskussion entstehen, sondern klare Rollen, Verantwortung und situative Urteilskraft brauchen.
Und schließlich müssen Teams lernen. Die Forschung zu Teamwirksamkeit – von Richard Hackman bis Amy Edmondson – ist hier eindeutig: Erfahrung allein führt nicht zu Verbesserung. Lernen entsteht erst dort, wo Teams ihr eigenes Handeln bewusst reflektieren und Konsequenzen daraus ziehen.
Diese vier Koordinationsleistungen – Orientierung, Koordination, Entscheidung und Lernen – sind alle notwendig. Sie folgen jedoch unterschiedlichen Regeln. Wer versucht, sie in einem einzigen Regelmeeting zu bündeln, erzeugt zwangsläufig Unschärfe und Ergebnislosigkeit.
Vier Typen von Regelmeetings – funktional unterschieden
Aus dieser Perspektive lassen sich vier grundlegende Typen von Regelmeetings unterscheiden. Sie existieren in den meisten Teams bereits, allerdings selten bewusst gestaltet.
Das Orientierungsmeeting
Orientierungsmeetings schaffen ein gemeinsames Verständnis davon, was aktuell relevant ist. Sie beantworten nicht die Frage, wer was tut, sondern wofür Aufmerksamkeit gebraucht wird. Studien wie Googles Project Aristotle zeigen, dass erfolgreiche Teams nicht nur klare Ziele haben, sondern ein geteiltes Verständnis von Prioritäten und Kontext.
Orientierung entsteht nicht automatisch durch Information. Erst die gemeinsame Einordnung macht aus Fakten ein handlungsleitendes Bild. Fehlt dieser Raum, entstehen unterschiedliche Interpretationen, implizite Annahmen und vermeidbare Reibung – oft ohne dass jemand das Problem klar benennen kann.
Das Koordinationsmeeting
Koordinationsmeetings adressieren Abhängigkeiten. Sie machen sichtbar, wo Arbeit ineinandergreift, wo Übergaben nötig sind und wo Engpässe entstehen. Ihr Fokus liegt nicht auf Statusberichten, sondern auf der Frage, was wer von wem braucht, um weiterarbeiten zu können.
In vielen Teams wird Koordination unterschätzt. Man verlässt sich auf individuelle Verantwortung und hofft, dass es gut geht. In der Praxis klappt das oft genug nicht und äußert sich schlimmstenfalls in Terminverzug, Qualitätsproblemen oder persönlichen Konflikten. Wirksame Koordinationsmeetings holen diese Themen frühzeitig an die Oberfläche.
Das Entscheidungsmeeting
Entscheidungsmeetings schaffen Bewegung. Sie sind der Ort, an dem Optionen bewertet, Entscheidungen getroffen oder zumindest klar vorbereitet werden. Ohne explizite Entscheidungsräume verlagern sich Entscheidungen in informelle Gespräche, Nebenkanäle oder Machtstrukturen.
Ein zentrales Problem vieler Teammeetings ist, dass nicht klar ist, ob – und wer – überhaupt entscheiden soll. Diskussionen werden geführt, ohne dass Verantwortung geklärt ist. Entscheidungsmeetings funktionieren nur dann, wenn vorab klar ist, welche Entscheidungen anstehen und wer sie trifft. Alles andere führt zu Gesprächsrunden ohne Konsequenz.
Das Reflexionsmeeting
Reflexionsmeetings sind der am häufigsten vernachlässigte Meetingtyp – und zugleich der wirksamste Hebel für nachhaltige Entwicklung. Sie richten den Blick nicht auf die Arbeit selbst, sondern auf die Art und Weise, wie gearbeitet wird.
Forschung zur Teamwirksamkeit zeigt deutlich: Ohne regelmäßige Reflexion wiederholen Teams dieselben Muster, auch wenn sie hoch motiviert und fachlich stark sind. Reflexionsmeetings schaffen einen Raum, um Zusammenarbeit, Entscheidungsprozesse und Kommunikation bewusst zu betrachten und gezielt zu verändern.
Warum viele Teammeetings trotz guter Absicht scheitern
In der Praxis werden diese vier Zwecke häufig in einem einzigen Regelmeeting vermischt. Das Meeting soll gleichzeitig informieren, abstimmen, entscheiden und reflektieren. Die Folge ist Überforderung: zu viele Themen, zu wenig Fokus, unklare Ergebnisse.
Wirksame Teams unterscheiden deshalb bewusst, welchen Zweck ein Meeting erfüllt – und welchen nicht. Sie akzeptieren, dass unterschiedliche Koordinationsleistungen unterschiedliche Räume brauchen.
Diese Differenzierung ist weniger eine Frage der Methode als der Haltung. Sie erfordert, Meetings nicht als gegeben hinzunehmen, sondern als gestaltbares Element von Zusammenarbeit zu verstehen. Es ist auch nicht zwingend notwendig, für jeden Zweck ein eigenes Meeting ins Leben zu rufen. Ein Meeting darf sich gern in mehrere Teile gliedern, die jeweils einem anderen Zweck dienen. Wichtig dabei ist nur, dass zu jedem Zeitpunkt allen Teilnehmenden klar ist, welcher Zweck in der aktuellen Phase gerade verfolgt wird. Vereint ein Regelmeeting mehrere Typen, ist ein konsequentes Zeitmanagement unerlässlich, um sicher zu stellen, dass kein Bereich systematisch zu lurz kommt.
Fazit
Meetings sind selten das eigentliche Problem. Sie machen sichtbar, wo Rollen, Entscheidungslogiken oder Lernschleifen nicht klar genug sind. Wer Regelmeetings wirksam gestalten will, sollte daher nicht bei der Agenda stehen bleiben, sondern bei der Frage beginnen, welche Art von Koordination ein Team wirklich braucht.
Allein diese Klarheit verändert oft mehr, als jede neue Moderationstechnik.
Quellen (Auswahl):
Mintzberg (1979, 1983), Thompson (1967), Hackman (2002), Edmondson (1999, 2018), Klein (1998), Google Project Aristotle (Duhigg, 2016)
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